Nachruf Martin Gstrein (1930 – 2022)

Unser Papa wurde 1930 als zweitältestes von sechs Kindern in Vent, „dem scheastn Platzlan auf dr Walt“, wie er es oft genannt hat, geboren.

Sein entbehrungsreiches Aufwachsen während und nach dem Krieg hat aus ihm einen bescheidenen, zufriedenen und vor allem friedfertigen Menschen gemacht. Wie oft haben wir von ihm die Sätze „Seid’s friedlich“ oder „Es zählt nit, ob man reich oder arm ist, d’r Frieden ischt es Wichtigschte“ gehört. Für sich selbst ist er mit ganz wenig ausgekommen. Den letzten Groschen hat er zeitlebens für uns Kinder (und später für seine Enkel) ausgegeben. Erzählen konnte er vieles aus seiner Kindheit und Jugend, bilder- und detailreich. Wie er bereits mit sieben Jahren allein das Vieh hüten musste oder wie seine Volksschullehrerin weggebracht wurde, weil sie sich weigerte, das Kreuz an der Klassenwand abzuhängen und stattdessen das Hitlerbild aufzuhängen.

Wissen, geistige Wachsamkeit und vor allem Lesen spielten in Papas Leben eine große Rolle. In jeder freien Minute mit einer Zeitung, einem Buch oder dem Lösen von Kreuzworträtseln beschäftigt, jede Nacht bei brennender Nachttischlampe mit einem geschichtlichen oder literarischen Werk auf seiner Brust liegend eingeschlafen – das sind bleibende Bilder. 1957, nach dem Tod seines Vaters, bewirtschaftete er das Hochjochhospiz und die Martin-Busch-Hütte, bis er schließlich die Führung unseres Gastbetriebs übernahm.


Seine eigentliche berufliche Erfüllung fand er aber im Bergführen, das er immer als den „schönsten Beruf überhaupt“ bezeichnete und bis ins hohe Alter jeden Sommer mit Freude und großem Einsatz ausübte. Dabei brachte er mit seiner geduldigen, ausdauernden und ganz eigenen Art des Führens gerade auch die älteren, langsamen, schwächeren Gäste immer sicher auf den Gipfel, auch wenn es doppelt so lang dauerte wie sonst. Seinen „Hausberg“, die Wildspitze, bestieg er hunderte Male, oft nach einem arbeitsreichen Tag um drei oder vier Uhr in der Früh von Vent aus, manchmal auch zweimal an einem Tag und einmal in Gefolgschaft einer Geiß. 2012 war er mit 82 Jahren zusammen mit einigen seiner Kinder und Enkel bei der Einweihung des neuen Gipfelkreuzes zum letzten Mal oben. Seine geliebte Natur konnte er danach noch einige Jahre als Wanderführer erleben.

Mama und Papa heirateten 1958. Er lebte für sie, seine sieben Kinder und 13 Enkelkinder. Papa putzte unsere Schuhe, wusch unsere Wäsche und nähte Knöpfe an unsere Jacken, kochte für uns alle, war immer für uns da. Seine Tür stand immer für alle offen. Wir konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit unsere Freunde, Studien- oder Fußballkollegen mitbringen, egal wen und wie viele. „Man muss alle gelten lassen“, war eine seiner häufigen und einprägsamen Aussagen, die er uns für unser Leben mitgab. Auch in den letzten schweren Monaten seines Daseins, als ihn seine Kräfte nach und nach verließen, wollte er niemandem zur Last fallen und bedankte sich bis zum Schluss für jeden kleinen Handgriff, den wir für ihn machen durften.

Die Familie
(Mit freundlicher Genehmigung seiner Familie und der Zeitschrift  DIE WILDSPITZE des Ötztal Tourismus)


 


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Nachruf Martin Gstrein (1930 – 2022)

Unser Papa wurde 1930 als zweitältestes von sechs Kindern in Vent, „dem scheastn Platzlan auf dr Walt“, wie er es oft genannt hat, geboren.

Sein entbehrungsreiches Aufwachsen während und nach dem Krieg hat aus ihm einen bescheidenen, zufriedenen und vor allem friedfertigen Menschen gemacht. Wie oft haben wir von ihm die Sätze „Seid’s friedlich“ oder „Es zählt nit, ob man reich oder arm ist, d’r Frieden ischt es Wichtigschte“ gehört. Für sich selbst ist er mit ganz wenig ausgekommen. Den letzten Groschen hat er zeitlebens für uns Kinder (und später für seine Enkel) ausgegeben. Erzählen konnte er vieles aus seiner Kindheit und Jugend, bilder- und detailreich. Wie er bereits mit sieben Jahren allein das Vieh hüten musste oder wie seine Volksschullehrerin weggebracht wurde, weil sie sich weigerte, das Kreuz an der Klassenwand abzuhängen und stattdessen das Hitlerbild aufzuhängen.

Wissen, geistige Wachsamkeit und vor allem Lesen spielten in Papas Leben eine große Rolle. In jeder freien Minute mit einer Zeitung, einem Buch oder dem Lösen von Kreuzworträtseln beschäftigt, jede Nacht bei brennender Nachttischlampe mit einem geschichtlichen oder literarischen Werk auf seiner Brust liegend eingeschlafen – das sind bleibende Bilder. 1957, nach dem Tod seines Vaters, bewirtschaftete er das Hochjochhospiz und die Martin-Busch-Hütte, bis er schließlich die Führung unseres Gastbetriebs übernahm.


Seine eigentliche berufliche Erfüllung fand er aber im Bergführen, das er immer als den „schönsten Beruf überhaupt“ bezeichnete und bis ins hohe Alter jeden Sommer mit Freude und großem Einsatz ausübte. Dabei brachte er mit seiner geduldigen, ausdauernden und ganz eigenen Art des Führens gerade auch die älteren, langsamen, schwächeren Gäste immer sicher auf den Gipfel, auch wenn es doppelt so lang dauerte wie sonst. Seinen „Hausberg“, die Wildspitze, bestieg er hunderte Male, oft nach einem arbeitsreichen Tag um drei oder vier Uhr in der Früh von Vent aus, manchmal auch zweimal an einem Tag und einmal in Gefolgschaft einer Geiß. 2012 war er mit 82 Jahren zusammen mit einigen seiner Kinder und Enkel bei der Einweihung des neuen Gipfelkreuzes zum letzten Mal oben. Seine geliebte Natur konnte er danach noch einige Jahre als Wanderführer erleben.

Mama und Papa heirateten 1958. Er lebte für sie, seine sieben Kinder und 13 Enkelkinder. Papa putzte unsere Schuhe, wusch unsere Wäsche und nähte Knöpfe an unsere Jacken, kochte für uns alle, war immer für uns da. Seine Tür stand immer für alle offen. Wir konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit unsere Freunde, Studien- oder Fußballkollegen mitbringen, egal wen und wie viele. „Man muss alle gelten lassen“, war eine seiner häufigen und einprägsamen Aussagen, die er uns für unser Leben mitgab. Auch in den letzten schweren Monaten seines Daseins, als ihn seine Kräfte nach und nach verließen, wollte er niemandem zur Last fallen und bedankte sich bis zum Schluss für jeden kleinen Handgriff, den wir für ihn machen durften.

Die Familie
(Mit freundlicher Genehmigung seiner Familie und der Zeitschrift  DIE WILDSPITZE des Ötztal Tourismus)


 


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